Jacques Delfeld Sr. hält Ansprache zum 78. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald

Jacques Delfeld Sr. hält Ansprache zum 78. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald

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Jacques Delfeld Sr. hält Ansprache zum 78. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald
Am Sonntag, 16. April 2023 sprach der 1. Vorsitzende des rheinland-pfälzischen
Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma, Jacques Delfeld Sr., bei der
Gedenkveranstaltung in Buchenwald anlässlich des 78. Jahrestags der Befreiung
des ehemaligen Konzentrationslagers. Delfeld, der gleichzeitig auch Stellvertretender
Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma ist, sagte in seiner
Ansprache: „Orte wie Buchenwald, Dachau, Kulmhof, Treblinka, Majdanek, Sobibor
und Auschwitz sind für unsere Minderheit zu den größten Friedhöfen in Europa
geworden“.
Er erinnerte speziell an das Schicksal des kürzlich verstorbenen Rudolf Steinbach.
Dieser war einer der wenigen Zeitzeugen des Holocaust an der Minderheit, der die
Schrecken des Vernichtungslagers Auschwitz und des Konzentrationslagers
Buchenwald erlebt hat.
Sein Schicksal und das Schicksal seiner Familienangehörigen steht exemplarisch für
den Holocaust an bis zu 500.000 Sinti und Roma im NS-besetzten Europa. Die
Familie von Rudolf Steinbach lebte in der Region von Koblenz. Sein Vater Ludwig
diente wie viele andere aus der Minderheit als Soldat im Ersten Weltkrieg, wo er
auch hohe militärische Auszeichnungen erhielt.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde dieses selbstverständliche
Leben als deutsche Bürger schrittweise zerstört. Wie alle anderen deutschen Sinti
und Roma wurde die Familie Steinbach durch die Nürnberger Rassengesetze
schrittweise aus allen Bereichen des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens
ausgegrenzt.
Durch den „Auschwitz-Erlass“ vom 16. Dezember 1942 verfügte Heinrich Himmler
die familienweise Deportation aller im Reich noch verbliebenen Sinti und Roma in
das Vernichtungslager Auschwitz. Unter den dorthin Deportierten befanden sich auch
die Angehörigen der Familie Steinbach aus Koblenz, darunter der damals gerade 15-
jährige Rudolf.
Zitat aus dessen Erinnerungen: „Im März 1943 wurde ich zusammen mit meinen
Eltern und meinen vier jüngeren Geschwistern von der Gestapo aus unserer
Wohnung geholt und dann mit einem Lastwagen zum Bahnhof gebracht. Dort
wurden wir in Bahnwaggons zusammengepfercht wie Vieh und mit der Bahn in das
Vernichtungslager Auschwitz verschleppt. Hier wurde mir die Häftlingsnummer Z-
2201 in den Arm tätowiert. Dort habe ich meine gesamte Familie verloren, nur ich
kam aus dieser Hölle zurück. Meine beiden Schwestern Ursula und Katharina, sie
waren beide noch keine zehn Jahre alt, trug ich in Auschwitz selbst auf den Berg von
Leichen – sonst hätte es keiner getan.“ (Zitat Ende)
In Auschwitz raubte man den Menschen den Namen und die Persönlichkeit; jeder
Anspruch auf menschliche Würde wurde ihnen aberkannt. Fast neunzig Prozent der
nach dort verschleppten Sinti und Roma wurden im Gas erstickt oder erschossen,
erschlagen, für medizinische Experimente von Josef Mengele und anderen SS-
Ärzten missbraucht oder zu Tode gequält.
Die Mutter von Rudolf Steinbach und zwei weitere seiner Geschwister waren unter
den letzten, am Leben gebliebenen 4.300 Sinti und Roma im Lagerabschnitt
B II e, die in der Nacht des 2. auf 3. August 1944 - trotz ihres erbitterten
Widerstandes - in die Gaskammern getrieben und ermordet wurden.
Rudolf Steinbach wurde Anfang August noch in das Konzentrationslager Buchenwald
deportiert. Er und die anderen aus Auschwitz verbrachten Sinti und Roma mussten
hier Zwangsarbeit unter unmenschlichen Bedingungen vor allem in der
Rüstungsindustrie und im Steinbruch leisten. Kurz vor der Befreiung durch die
Alliierten wurde Rudolf Steinbach mit Tausenden anderer Häftlinge in
Todesmärschen in Richtung der Konzentrationslager Flossenbürg und Dachau
getrieben, wo er schließlich von den Amerikanern befreit wurde.
In den letzten Jahren drückte er immer wieder seine Sorge über die Entwicklungen in
unserer Gesellschaft aus, Zitat: „Die Erfahrung der Verfolgung durch die Nazis habe
ich immer in mir getragen. Damit sind auch meine Kinder aufgewachsen. Die Zeit des
Nationalsozialismus könnte aus meiner Sicht jederzeit wiederkommen. Meines
Erachtens entwickelt sich die Gesellschaft schon wieder in diese Richtung.“ (Zitat
Ende)
Auch Jacques Delfeld Sr. zeigte sich besorgt über einen spürbaren Rechtsruck in
unserer Gesellschaft und mahnte staatliche Institutionen den Antiziganismus als
Gefahr ernst zunehmen:
„Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa hetzen rechtsextreme und
nationalistische Gruppen und Parteien ganz offen gegen Minderheiten und auch
unseren demokratischen Rechtsstaat. Sie machen antiziganistische, antisemitische
und rassistische Argumente wieder hoffähig. So kommt es immer wieder zu
antiziganistischer Gewalt, wie zuletzt bei den Anschlägen in Hanau und München,
bei denen auch Angehörige unserer Minderheit ermordet wurden.
Dem entgegenzutreten, ist eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Hierbei ist
nicht nur die Politik gefragt, die die Rahmenbedingungen schafft, sondern hier muss
die Zivilgesellschaft die demokratischen und freiheitlichen Werte, denen wir
verpflichtet sind, jeden Tag aufs Neue mit Leben füllen. Denn Freiheit und
Demokratie sind die Grundlage für ein respektvolles und wertschätzendes
Zusammenleben“, so Delfeld.
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