Gedenkstätte Pirmasens

Gedenkstätte Pirmasens

Seit 2001 erinnert eine Tafel am Nardinihaus in Pirmasens an die Sinti-Kinder Anna und Robert Reinhardt. 2018 wurde in unmittelbarer Nähe, an der Ecke Klosterstraße/Schlossstraße eine weitere Tafel angebracht.

Klosterstraße

  • Lage

    Klosterstraße 1a/Klosterstraße 1-3
    66593 Pirmasens

  • Einweihung

    21.Juni 2001/8.Mai 2018

Beschreibung: In der Stadtmitte Pirmasens befinden sich in unmittelbarer Nähe zueinander zwei Tafeln, die an die Sinti-Kinder Anna und Robert Reinhardt erinnern. Am Nardinihaus, einem katholischen Kinderheim, in dem die beiden Kinder von 1936 bis 1943 lebten, befindet sich seit 2001 eine Tafel mit folgender Inschrift: „Zum Gedenken an die Sinti Kinder Anna und Robert Reinhardt. Während des Nationalsozialismus lebten sie sieben Jahre lang hier. 1943 wurden sie aus rassischen Gründen in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert und ebenso wie ihre Eltern ermordet.“

Seit 2018 befindet sich ein paar Meter weiter, an der Gebäudefassade an der Ecke Klosterstraße/Schlossstraße, eine weitere Tafel. Auf dieser stehen die Namen von Anna und Robert Reinhardt, jeweils ergänzt um folgende Informationen: Das Geburtsdatum und das Datum der Deportation nach Auschwitz. In Roberts Fall ist das Datum seiner Ermordung ebenfalls zu lesen. Am unteren Ende der Tafel ist zudem ein QR-Code eingepflegt, über den man weitere Informationen erhält.

Geschichte von Anna und Robert Reinhardt: Die Geschwister lebten ab 1936 im Kinderheim Nardinihaus, nachdem sie von NS-Behörden von ihrer Familie getrennt wurden. Im März 1943 wurden sie zusammen mit ihren Eltern und anderen Geschwistern in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Anna war zu diesem Zeitpunkt zwölf, Robert vierzehn Jahre alt. Er stand kurz vor dem Schulabschluss und dem Beginn einer Autoschlosserlehre. Zu vermuten ist, dass Robert die Rolle einer wichtigen Bezugsperson für seine jüngere Schwester einnahm. In Auschwitz wurden neben den beiden Geschwistern auch deren Eltern und weitere Familienmitglieder ermordet.

Entstehungsgeschichte: Anfang der 1990er Jahre wurde der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und der Landesverband Rheinland-Pfalz durch historische Forschungen auf die Deportationen von Sinti- und Roma-Kindern aus verschiedenen kirchlichen Kinderheimen nach Auschwitz aufmerksam. Daraufhin forderten Zentralrat und Landesverband die Anerkennung der kirchlichen Verantwortung für die NS-Verbrechen. Die Heimleitung des Nardinihauses wies die Verantwortung mit der Begründung, die Kinder seien auf Befehl der NS-Behörden lediglich zu ihren Eltern geschickt und erst später deportiert worden, von sich. Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, entgegnete sinngemäß, der Heimleitung sei sehr wohl bewusst gewesen, dass die Kinder ausschließlich zum Zweck der anstehenden Deportation zu ihren Eltern gebracht werden sollten.

In der Folge verhärteten sich die Fronten weiter. Nach einer Kranzniederlegung durch Jacques Delfeld Sr., den Vorsitzenden des Landesverbandes, forderte dieser die Anbringung einer Gedenktafel für Anna und Robert Reinhardt am Nardinihaus. Diesmal lehnte die Heimleitung die Forderung mit dem Hinweis ab, es sei auch keine Gedenkstätte für die bei der Bombardierung 1945 verstorbenen Kindern und Ordensschwester eingerichtet worden. Dies offenbarte ein problematisches erinnerungskulturelles Verständnis, in welchem nicht zwischen Opfern von NS-Verbrechen und Kriegsopfern unterschieden wurde. Von höherer Stelle wurde ebenfalls kein Vermittlungsversuch unternommen: Bischof Anton Schlembach (Bistum Speyer) verwies im September 1996 auf das eigenständige Handeln des Nardinihauses und bestritt daher die allgemeine Verantwortung der katholischen Kirche.

Vier Jahre später, im Herbst 2000, wandte sich Delfeld an den Stiftungsrat des Nardinihauses mit der Bitte, der Heimleitung öffentlich wirksam eine Gedenktafel überreichen zu dürfen, was von kirchlicher Seite schließlich zugesagt wurde. Die Anfertigung der Gedenktafel erfolgte durch die Firma Glocken- und Kunstgießerei Rincker im hessischen Sinn. Zudem organisierte der Landesverband Deutscher Sinti und Roma Rheinland-Pfalz eine Informationsveranstaltung am 14. Dezember, in der auf die Verstrickung der Kirchen in den Nationalsozialismus und den Bezug zu Deportationen von Sinti- und Roma-Kindern aus katholischen Kinderheimen in die Konzentrations- und Vernichtungslager eingegangen wurde. Diese Veranstaltung lieferte den Anstoß für einen öffentlichen Diskurs zu diesem Thema, und ist daher auch als ein Grund für das Einlenken des Vorstandes des Nardinihauses in Bezug auf die Gedenktafel anzusehen. Diese wurde schließlich am 21. Juni 2001 in Anwesenheit des Völkermord-Überlebenden Richard Reinhard eingeweiht. Delfeld sagte in seiner Rede unter Anderem: „Es geht uns nicht darum, neue Anklagen zu erheben, sondern darum, das Gedenken an die Kinder und an die Geschehnisse während des Nationalsozialismus wach zu halten. Das Gedenken an die schuldlosen Kinder, die allein aus rassischen Gründen von den Nationalsozialisten ermordet wurden, ist gerade in der heutigen Zeit wichtig, in der rechtsextremistische Übergriffe fast schon an der Tagesordnung sind.“

Die zweite Tafel wurde am 8. Mai 2018 eingeweiht. Sie ist Teil des dezentralen Gedenkprojektes der Stadt Pirmasens, zu dem 40 in der Stadt verteilte Gedenktafeln und ein zentrales Denkmal auf dem Bahnhofsvorplatz, welches allen in der NS-Zeit verfolgten Menschen gedenkt, gehören.